
© Esther Irina Pschibul
Der Sommer ist vorbei, wir melden uns aus den Ferien zurück und begrüßen den Herbst mit einer Arbeit der Bildhauerin Esther Irina Pschibul.
Titel: KRIEG UNTER DER HAUT (HÖRNERFRAU)
Jahr: 2009
Maße: 180 x 100 x 100 cm
Material: Organisches Material (Ton, Horn), Knetmasse (Hautfarbe)
Die Skulptur trägt den Titel Krieg unter der Haut (Hörnerfrau). Esther Irina Pschibul stellt diese Arbeit erstmals 2009 im Rahmen einer Einzelausstellung im Kunstverein Bobingen aus. Die Skulptur zeigt eine hockende Frau mit geschlossenen Augen und Hörnern, die aus ihrem haarlosen Kopf wachsen. Ihre tönerne Haut wirkt brüchig und rissig – insbesondere an den Knien. Steht eine Häutung bevor? Ist ihre Verwandlung noch nicht abgeschlossen? Ihre Haltung und ihre geschlossenden Augen zeugen gleichzeitig von Dynamik und Innerlichkeit – wartet sie? Ruht sie sich aus? Was passiert als nächstes?
Die Künstlerin will die Sinneswahrnehmung der Betrachter aktivieren, dazu versammelt sie Skulpturen, installative Räume und begehbare Objekte; konzeptuelles Verstehen und sinnliches Erleben sollen sich ergänzen.
Ihr geht es um das Mensch-Sein und um das Tier-Sein, sagt sie. Betrachtet man die Hörnerfrau und ihren metamorphosierenden Körper, so geht es – mit Deleuze und Guattari gesprochen – vielleicht nicht nur um das Sein, sondern auch um das Werden. Mit ihrem Konzept des Tier-Werdens verweisen die beiden Autoren von Tausend Plateaus auf die Prozessualität und Dynamik des Seins. Explizit wird nicht ein Ähnlichwerden zwischen Mensch und Tier auseinandergesetzt, sondern ein gemeinsames Werden zwischen diesen beiden. „Wir glauben an die Existenz von ganz besonderen Arten des Tier-Werdens, die den Mensch durchdringen und mitreißen und die ebenso das Tier wie den Menschen betreffen.“ Betrachten wir die Arbeit von Esther Irina Pschibul, so sehen wir auch, dass sich nicht nur der Frauenkörper verändert, auch die Form des Tieres ist aufgelöst: in den Hörnern noch anwesend, vielleicht in Körperhaltung, Textur und Mimik nachzuspüren. Ein gehörntes Tier, das einen Frauenkörper bekommen hat und eine Frau, die mit Hörnern ausgestattet wurde. Deleuze und Guattari formulieren: „Denn es geht ja nicht um die Reproduktion von Figuren, sondern um Produktion eines Intensitätskontinuums“. Diese Intensität schöpft sich in Esther Irina Pschibuls Arbeit aus dem Moment, der Frau und Hörnertier miteinander verbindet. Die nachzuempfindende Körperlichkeit der Figur in Verbindung mit dem Prozess der Metamorphose. Die Gleichzeitigkeit von innerem Moment und Dynamik erzeugen eine Spannung, die sich als Intensität in die Wahrnehmung des Betrachters schleicht.
Literatur:
Gilles Deleuze & Felix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, Berlin 1992 [1980], Seite 323.
Gilles Deleuze & Felix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt 1976 [1975], Seite 21.
Text: A.R.