Sound as material – Ein Interview mit Heiko Wommelsdorf
„Background noise may well be the ground of our being. It may be that our being is not at rest, it may be that it is not in motion, it may be that our being is disturbed. The background noise never ceases; it is limitless, continuous, unending, unchanging. It has itself no background, no contradictory. How much noise must be made to silence noise? […] noise is not a matter of phenomenology, it is a matter of being itself. It settles in subjects as well as in objects, in hearing as well as in space, in the observers as well as in the observed, it moves through the means and the tools of observation, whether material or logical, hardware or software, constructed channels or languages; it is part of the in-itself, part of the for-itself; it cuts across the oldest and surest philosophical divisions, yes, noise is metaphysical. It is the complement to physics, in the broadest sense.“
[Michel Serres, extract from Genèse (Paris: Grasset, 1982); trans. Geneviève James and James Nielson, Genesis, Michigan: University of Michigan Press, 1995]
In den Arbeiten von Heiko Wommelsdorf sind Geräusche, die ein Ausstellungsraum mit sich bringt zentral. Alltags- und Umgebungsgeräusche – gewöhnlich zum Hintergrundrauschen reduziert – werden hier hervorgehoben und zum Material, mit dem der Künstler arbeitet. Insbesondere Sounds, die der Ausstellungsraum und seine Ausstattung selbst produziert, werden reflektiert, bearbeitet und schließlich zum Teil der Installation. Anlässlich seiner aktuellen Ausstellungen haben wir uns mit Heiko Wommelsdorf unterhalten. Er ist Mitglied bei ARTWARD und hier mit einer eigenen Profilseite vertreten http://www.artward.de/project/heiko-wommelsdorf. Im Oktober 2015 haben wir seine Arbeit »6 Thermohygrographen« als Kunstwerk des Monats gewählt und intensiv betrachtet. Unseren Text dazu findet ihr hier: http://www.artward.de/2015/11/kunst-im-oktober-von-heiko-wommelsdorf. Bei den KunstFestSpielen Herrenhausen konnte man kürzlich im Großen Garten Hannover die Klanginstallation »Resonanzen« erleben, zu der Heiko Wommelsdorf «Spieluhren« beigetragen hat. Bis zum 26. Juni läuft die Ausstellung »Nebengeräusche« im Saarländischen Künstlerhaus Saarbrücken und bis zum 24. Juli stellt er neue Arbeiten in der Städtischen Galerie Reutlingen aus.
Heiko, du bist derzeit Stipendiat der HAP Grieshaber Stiftung, magst du uns kurz etwas zu der Stiftung und den Möglichkeiten, die du mit dem Stipendium hast erzählen?
Die HAP Grieshaber Stiftung fördert seit 1994 alle zwei Jahre eine/-n Künstler/-in mit einer Wohnung und einem Atelier in Reutlingen sowie einem monatlichen Betrag von 1.200 €. Finanziert von der Stadt Reutlingen, der Kreissparkasse Reutlingen und dem Grieshaber-Freundeskreis wohne ich seit Oktober 2015 in Süddeutschland.
Das Stipendium ermöglicht mir, konzentriert an meinen Konzepten und Installationen zu arbeiten, ohne den Blick auf meine Kontoauszüge richten zu müssen. Außerdem kann ich viel Zeit mit meinem 1-jährigen Sohn verbringen, da ich mir meine Arbeitszeit selbst einteilen kann.
Die Stiftung hat auch deine aktuelle Ausstellung in der Städtischen Galerie Reutlingen ermöglicht?
Genau! Die Stiftung stellt ein Budget zur Verfügung, um meine Abschlussausstellung in der Städtischen Galerie in Reutlingen zu realisieren und zusätzlich einen Katalog zu publizieren.
Was zeigst du dort?
Ich thematisiere in meiner Ausstellung die Städtische Galerie als architektonisches Erlebnis sowie als institutionellen Raum.
Zum einen zeige ich eine Installation bestehend aus 18 in Richtung von Akustikdämmplatten gerichtete Lautsprechern, die den Nachhall der Galerie mit Hilfe unterschiedlicher Frequenzen eines Fingerschnippens untersuchen. Die Aufnahmen dringen von den Dämmplatten reflektiert in den Raum, wobei die Akustikdämmplatten ab-absurdum geführt werden und der Installation eine sehr ästhetische visuelle Note geben. In unterschiedlichen Abständen vernimmt man die pointierten Geräusche, die sich zu einem Rhythmus formen und das Architekturerlebnis verändern.
In drei weiteren Arbeiten spiele ich mit den Vorgaben verschiedener Institutionen in denen Kunst stattfindet.
Thermohygrographen, Luftbefeuchter und ein Abluftschacht lösen die Grenzen zwischen dem vom Künstler positionierten und dem vom Handwerker montierten Instrumenten auf.
Im besten Fall findet dort eine Sensibilisierung auf die Alltagsgeräusche, welche sonst ausgeblendet werden statt. Die Motorgeräusche der Luftbefeuchter werden zu Rhythmen, das Rauschen der vor den Fenstern befindlichen Straße sowie dem Fluß Echaz bündeln sich in den Raumecken. Das Ticken der Uhrwerke mehrerer Thermohygrografen wird vernommen, ebenso wie die defekten Leuchtstoffröhren, die brummend den Raum füllen.
Außerdem kann man deine Arbeiten zur Zeit in Saarbrücken und in Hannover sehen, was hast du dort installiert?
Im Künstlerhaus Saarbrücken ist eine ähnliche Situation installiert. Lüftungsgitter auf Fußhöhe, ein Heizkörper mit langen Kupferstäben, die einen Rahmen an der Wand andeuten, ein 5 Meter langes Lüftungsrohr an der Decke und ein Thermohygrograph, der die Ereignisse im Raum festhält.
In Hannover ist eine große Klangkunstausstellung in den Herrenhäuser Gärten zu erleben. In einem Bereich aus mehreren Linden habe ich eine Arbeit mit unterschiedlichen Spieluhren entwickelt. An 36 Bäumen befinden sich umkomponierte Spieluhren, die der Besucher aufziehen kann. Zusammenspielend ergeben die Spieluhren ein Ereignis bestehend aus dem Rauschen des Windes in den Bäumen, Stimmen, Motorgeräusche verschiedener Gartenarbeiten, Rasensprenger und immer mal wieder einen leisen Spieluhrton, der je nach Windrichtung aus unterschiedlichen Richtungen mit unterschiedlichen Dynamiken zu einem dringt.
In deinen Werken sind die Komponenten Raum und Klang zentral, wie gehst du vor, wenn du eine neue Arbeit planst und kreierst?
Wenn möglich untersuche ich zuerst den Raum, bevor ich eine Arbeit/Installation konzipiere. Es ist für mich wichtig zu wissen, was bereits im Raum vorhanden ist. Optimalerweise sollte ein Ausstellungsraum komplett leer sein, damit der dort agierende Künstler seine Materialien im Raum positionieren kann. Da es solche Räume meiner Erfahrungen nach nicht gibt, bin ich gezwungen mit den visuellen und akustischen Situationen zu arbeiten. Wer Rauminstallationen entwickelt, kann nicht sagen: „Der Rauchmelder, der Feuerlöscher, das laute Surren der Lampen und der Luftentfeuchter gehören nicht zu meiner Arbeit, alles weitere schon!“ …das ist albern! Wenn ich weiß was im Raum ist und wie deren Atmosphäre auf mich wirkt, fange ich an in unterschiedliche Richtungen zu grübeln…
Du hast gerade auch einen Katalog mit dem Titel Atelier produziert, was bedeutet das Atelier für dich?
In den letzten zwei Jahren in Hamburg hatte ich kein Atelier. Lediglich ein Lagerraum für meine Materialien und ein Schreibtisch für das Skizzieren der Ausstellungen/Konzepte stand mir zur Verfügung. Die Arbeiten, die in dem Zeitraum entstanden sind, waren stark vom Ausstellungsraum abhängig, da ich erst vor Ort die Arbeit hören/sehen konnte, die ich am Computer entwickelt habe.
Mit dem Stipendium habe ich mir gleich zu Beginn einen Rahmen geschaffen, in dem ich ähnlich wie in Ausstellungen an meinen Installationen arbeite.
Ich habe mir eine Wand ins Atelier gebaut und mir eine Situation vorgegeben, in der ich Ideen ausprobieren kann. Das Ergebnis dokumentiere ich in Bild und Ton von der immer gleichen Position aus. Mit kurzen beschreibenden Texten habe ich die Arbeiten, die im Atelier entstanden und dokumentiert sind, mit dem Kehrer-Verlag zusammengetragen. Im Juli erscheint der Katalog mit dem einfachen Titel „Atelier“ bei Kehrer.
Wie sehen deine Pläne für den zweiten Teil des Jahres aus?
Im Juli nehme ich an Ausstellungen in Berlin und Lauenburg/Elbe teil und im August in Meinersen. Dann ziehe ich wieder zurück nach Hamburg. Für 2017 sind bereits drei Einzellausstellungen geplant und mit einer befreundeten Klangkünstlerin arbeite ich an einem klangkunstspezifischen Ausstellungsort in Hamburg.
Bis zum Ende des Jahres werde ich an verschiedenen Schulen Workshops durchführen, in denen ich die Schüler auf die Umgebungsgeräusche in ihrem Alltag sensibilisieren möchte. Fünf Schulen haben sich bereits angemeldet. www.klangkunstvermittlung.de
Vielen Dank für das Interview!
Aktuelle Termine
Stipendiat der HAP Grieshaber Stiftung
Städtische Galerie Reutlingen
Eröffnung: 29. April 2016, 19 Uhr
30. April – 24. Juli 2016
Heiko Wommelsdorf
Nebengeräusche
Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken e.V.
Eröffnung: 11. Mai 2016, 19 Uhr
12. Mai – 26. Juni 2016
Resonanzen – Gartenarbeit
KunstFestSpiele Herrenhausen, Großer Garten, Hannover
Eröffnung: 18. Mai 2016, 18 Uhr
18. Mai – 02. Juni 2016
Das Interview führte Annalena Roters.