Helena Petersen ist die Preisträgerin des 7. ARTWARD artist-in-residence. Am Ende des vergangenen Jahres ist sie nach Brüssel gereist, um in Alain Servais Loft zu arbeiten. Wir haben sie nach Ihren Erfahrungen während der Residency gefragt, die auch von den Auswirkungen der Anschlägen in Paris im November 2015 geprägt war.
Wie geht es dir in Brüssel, Helena?
Gut.
Hast du dich mit einer konkreten Idee, die du hier umsetzen wolltest auf den Weg gemacht?
Nein. Ich habe nach einem Freiraum gesucht, in einer inspirierenden Umgebung. Brüssel, als eine kontroverse Stadt mit vielen Brüchen, und einer spannenden Kunstszene hat mich angezogen. Und in den riesigen Räumlichkeiten von Alains Loft leben und dort arbeiten zu können, inmitten seiner Kunstsammlung, losgelöst von alltäglichen Verpflichtungen und Verantwortungen, schien mir der richtige Ort.
Deine Pyrographien entstehen tatsächlich auf dem Schießstand, den Alain Servais Loft wohl nicht bieten kann… Kannst du uns erzählen, wie deine Arbeitsprozesse sonst ablaufen und wie du in Brüssel arbeitest?
Es ist tatsächlich so, dass meine Arbeiten außerhalb des Ateliers entstehen. Die Projekte reifen meist über einen längeren Zeitraum. Zur Recherche bin ich in Bibliotheken, in zeitgenössischen-, archäologischen- oder Naturkundemuseen, in Sternwarten, oder in der Natur. Oft verbinde ich diesen Prozess mit “Forschungsreisen”. Häufig entstehen die Projekte mit Hilfe von Mitwirkenden, wie dem Schießstandbesitzer bei den Pyrographien, oder Forensiker und Vulkanologen bei einer meiner aktuellen Arbeiten. Der letzte Schritt ist dann die Umsetzung im Fotolabor.
Mit Brüssel ist es anders. Das Residency verschafft mir Distanz zu meiner gewohnten Umgebung. Es ist so, dass ich abgesehen von vielen guten Ausstellungen, Performances und dem Amsterdam Artweekend, viel Zeit im Loft verbringe. Ich nehme mir die Ruhe und Zeit, um über meine jetzigen Arbeiten nachzudenken, sie auszubreiten, zu projizieren, Neues dabei auszuprobieren, darüber zu schreiben und all das mit Platz zum Auf-und Ablaufen. Ein Freiraum mit viel Abstand zum Reflektieren. Alains kritische Beobachtungen aus der Sicht eines Sammlers, führen auch immer wieder zu konstruktiven Diskussionen und neuen Fragestellungen bei gemeinsamen Ausstellungsbesuchen.
Nach den Anschlägen in Paris im November war Brüssel als Wohnort der Verdächtigen in einer besonderen Situation. Wie hast du das wahrgenommen? Hat es deine Arbeit beeinflusst?
Ich habe das alles sehr nah miterlebt. Da ich die ParisPhoto besucht habe, war ich bis zum Abend der Anschläge in der Stadt, auch kurz zuvor nahe dieser Orte, und bin noch mit deutschen Fußballfans in der Metro gefahren. Als ich in der Nacht davon erfuhr, war ich zutiefst betroffen und habe in den nächsten Tagen und Nächten fassungslos ununterbrochen auf den Lifeticker gestarrt, während das Heulen der Sirenen in Brüssel immer lauter wurde. Polizeieinsatzkräfte, Kontrollen, schließlich schwer bewaffnete Soldaten mit Panzern und der tagelange Lockdown. In einer Stadt unter Terrorverdacht, wo Geschäfte, Restaurants, Kinos, Museen und Metros mitten am Tag schließen, wird es schnell leer und ruhig, tatsächlich beunruhigend. Grundsätzlich wurde aber auch das freie Leben stark eingeschränkt, ohne Freizeitmöglichkeiten und wirklicher Bewegungsfreiheit, was mindestens so beunruhigend schien. In meiner Nachbarschaft Schaerbeek war jedoch keine wirkliche Veränderung spürbar. Im Nachhinein ist dies trügerisch weil ich vor Kurzem erfahren habe, dass sich der gesuchte Attentäter nur eine Strasse weiter in einem Haus versteckt haben soll.
Ob diese Situation meine Arbeit beeinflusst hat, kann ich so kurz darauf noch nicht eindeutig sehen. Die Bilder, Videos und Geschichten der Überlebenden wie Zurückgebliebenen von den Pariser Attentaten haben sich tief eingebrannt, gerade die vielen Leichentücher. Das Gefühl in einer Stadt zu leben, die befürchtet unmittelbar vor einem Terroranschlag zu stehen, hinterlässt auch seine Spuren. Emotional und visuell greife ich viele Eindrücke auf, die mir nach einiger Reifezeit in meinen Arbeiten oder zumindest in Impulsen wieder begegnen, aber eben nicht unmittelbar. Inhaltlich sind es genau diese Themen, die in mir einen Schmerz oder Mitgefühl verursachen. Gewalt und Verletzung, auch durch Waffen, sind ja immer wiederkehrende Themen in meiner Arbeit, wenn auch meist auf subtile und versteckte Weise gezeigt. Die willkürliche Brutalität in Paris lässt mich am wenigsten los.
Deine Schilderungen sind sehr eindrücklich, vielen Dank, dass du deine Erfahrungen teilst.
Kannst du uns schon sagen, wie deine Pläne für 2016 aussehen?
Ich habe viel vor. Es gibt mehrere große Projekte, die ich gerne dieses Jahr fertigstellen möchte. Ich plane Arbeitsreisen, wie nach Ecuador, Neapel oder ins Ruhrgebiet wo mich nach wie vor die Kohlebergwerke beschäftigen. Es stehen einige Ausstellungen an.
Und zum Schluss: Was sollte man in Brüssel auf gar keinen Fall verpassen? Hast du einen Tipp für die zukünftigen ARTWARD artist-in-residence Preisträger?
Bestimmt das Spazierengehen. Denn dabei sieht man am besten die Brüche der Stadt. Die Stimmung und Atmosphäre kann sich von der einen zur anderen Straße radikal ändern. Es gibt wunderschöne Plätze und Parks, die sehr versteckt sind, zu Fuß entdeckt man sie am besten, gerade in Schaerbeek. Auf www.neca.be findet man alle Eröffnungen und Ausstellungen im Überblick. Interessant war das off-space La Société in Molenbeek. Neben den Galerien um den Place de Salon sollte man auch nicht die vielen Schokoladengeschäfte verpassen, vor allem Passion Chocolat ist einen Besuch wert.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für deine nächsten Projekte!
Interview: A.R.